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Monday, November 23, 2020

Nachruf: Karl Dall verlernte nie das Blödeln - Süddeutsche Zeitung

Kurz vor dem Ende der Beatles tauchte 1967 ein ganz anderes Quartett auf: Insterburg & Co. Während die vier aus Liverpool mit Engelszungen sangen, entschieden sich die zauselhaarigen Insterburger für das Gegenprogramm, für den radikalen Blödsinn: "Zu uns sprach Herbert Wehner:/Nur Engel singen schöner." Das war zwar nicht ganz die Tonlage von Rilke, aber als Reim nicht schlecht und außerdem reinster Blödsinn.

Zu gnadenlosen Kalauern traktierten sie Instrumente, die wie selber zusammengeleimt aussahen, triangelten und fiedelten, sägten und hämmerten, zimbelten und teutonten, dass selbst einem strengen Dichter wie Helmut Heißenbüttel aufging, dass die Kultur nur mehr aus dem Geist des Blödelns zu retten war.

Das alles ereignete sich, um noch tiefer in den ohnehin schon ziemlich tiefen Brunnen der Vergangenheit zu starren, als an den Universitäten in "Kapital"-Kursen der Tauschwert gegen den Gebrauchswert aufgerechnet und der Untergang der SPD eingeleitet wurde, weil die Jusos die Arbeiter mit der revolutionären Theorie als einer Funktion der Praxis (oder war es doch umgekehrt?) ins Bett diskutierten. Diese Sattelzeit am Ende des ancien régime der CDU war nämlich generationenübergreifend vor allem eins: furchtbar ernst. Rudi Dutschke rief zum langen Marsch durch die Institutionen, und Joachim Fest formte in seiner Biographie Hitler zu einem gescheiterten Künstler.

Diese vier Anarchisten aus Ostpreußen und Friesland hatten weder zum revolutionären noch zum politischen Pathos Lust und kannten deshalb nur diesen "Abenteuerroman von Adolf Hitler" mit dem Titel "Mein Krampf". Brandt wollte mehr Demokratie wagen, Habermas den herrschaftsfreien Diskurs durchsetzen, Dall verabschiedete Zeit seines Lebens den Ernst aus der Welt.

Zugegeben, da war noch der andere Außerfriesische, Otto mit Namen, der, unterstützt von den Philosophen der Neuen Frankfurter Schule, der Adenauer- und Springer-Bundesrepublik den endgültigen Abschied gab. Aber niemand reichte an Dall heran, der als Ein-Mann-Unternehmen die Institutionen unterwanderte oder doch zumindest das Fernsehen. Dort regierten in den frühen Siebzigern Heintje, Roy Black und Rex Gildo, und Dieter Thomas Heck ließ seine Helden in der ZDF-Hitparade wie ein Feldwebel antreten. Mit dem polonäsigen Titel "Diese Scheibe ist ein Hit!" (1975) parodierte Dall das Slowfox-Geschlagere auf dessen eigenem, also dem untersten Niveau und wurde prompt, wie er's im Text gefordert hatte, zu Heck eingeladen, wo er dann tapfer krächzte: "Diese Scheibe müsst ihr koofen, is' 'ne Scheibe für die Doofen".

Apokryphe Quellen wollen wissen, dass sich Wigald Boning und Olli Dittrich mit ihren "Liedern, die die Welt nicht braucht" nach diesem Hit "Die Doofen" nannten. Was soll man sagen? Es hat geklappt, die Platte wurde gekauft.

Er hätte scheitern, er hätte also ein hauptberuflicher Comedian, er hätte sogar Produzent oder Redakteur werden können, aber Dall, und das ist seine bleibende Leistung, blieb einfach Dall. Schon für seinen Auftritt in Ulrich Schamonis Film "Quartett im Bett" hatte er 1969 den Ernst-Lubitsch-Preis für seine Nebenrolle als Karl Dall bekommen, und fast ein halbes Jahrhundert lang zierte er Dutzende Filme. Naturgemäß wählte er das Fernsehen als sein Habitat, wo er am besten als penetrante Nebenfigur war.

Wenn die große Samstagabendunterhaltung und Verstehen Sie Spaß? angesagt waren, wenn die Stadthalle von Hof oder Recklinghausen ausverkauft war und zwölf Millionen Zuschauer mitfieberten, weil zwei, drei Stars angekündigt waren, nahm er mit seinen improvisierten Bemerkungen jeder Show den Sattelschlepperernst. Seine Fernsehlaufbahn hatte im Musikladen bei Radio Bremen begonnen, und über die WDR-Plattenküche hangelte er sich durch zu RTL, wo er in Gestalt von Dall-As seine eigene Show bekam, die bei Sat 1 als Jux und Dallerei weiterging. Das Blödeln verlernte er nie, denn er blieb verlässlich schlecht gelaunt. Deshalb war der magensaure Misanthrop oft der einzige angenehme Anblick im letzten Fin-de-Siècle, das in 7 Tage, 7 Köpfe und dergleichen auslief.

Einen fast schon Beckett-förmigen Schlusspunkt bildete die Etappenwanderung auf dem Jakobsweg, zu der er 2016 bei Tele 5 mit anderen hüftsteifen Alt-Größen wie Björn-Hergen Schimpf und Harry Wijnvoord aufbrach. Am Montag nun ist der Großkomiker Karl Dall 79-jährig in Hamburg gestorben.

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